Derby ohne Gästefans?

11. Dezember 2018 0 Von NZ1966
Derby ohne Gästefans?

Am Samstag, den 15.12.2018 wird das Spiel zwischen Chemie und Lokomotive Leipzig leider ohne Gästefans stattfinden. Mit großem Unverständnis mussten wir diese kurzfristige Entscheidung des Vereins vor wenigen Tagen zur Kenntnis nehmen. Besonders folgender Satz im veröffentlichten Statement liegt uns dabei schwer im Magen:

„Nach intensiven Beratungen von Präsidium, Aufsichtsrat, Geschäftsführung und den größten aktiven Fangruppen sowie Gesprächen mit zahlreichen anderen Fans und Freunden des FCL war dies der mehrheitliche Konsens.“

Richtig ist, dass im Vorfeld des Derbys viel geredet wurde – stets in offener, zielorientierter und respektvoller Art und Weise. Viele Unklarheiten, Fragezeichen und Eventualitäten mussten über mehrere Wochen hinweg durchdacht und immer wieder aufs Neue erörtert werden. Auch das Wort „Boykott“ fiel nicht nur einmal – stets in Abhängigkeit zu teils absurden und paranoiden Auflagen, Verboten und Einschränkungen, die sich erst im Laufe der Wochen in ihrer Gänze offenbarten. Dennoch sah rund eine Woche vor dem Termin alles danach aus, als würde das Spiel besucht werden.

Am Ende kam es jedoch anders und die versammelten Gremien des Vorstandes und des Aufsichtsrates, die mehrheitlich nicht in die direkte Kommunikation, Planungen und Vorbereitungen mit uns eingebunden waren, beschlossen schließlich in finaler Abstimmung, keine Tickets anzunehmen, was die langen und konstruktiven Gespräche der Vorwochen vollends auf den Kopf stellte. Aus vermeintlichen Gründen, die für uns keine sind. Unser Konsens sieht anders aus.

Boykott – wogegen?

Auch wenn die Voraussetzungen rund um das Spiel weiterhin nicht das sind, was bei uns grenzenlose Motivation und Vorfreude auslöst, so hat sich die Ausgangslage im Vergleich zu den vorherigen Spielen dennoch erheblich verbessert. Nicht zuletzt aufgrund des Engagements des Fanprojekts Leipzig und dem Verein in Person des Sicherheitsbeauftragten, die in den Beratungen trotz mitunter sehr widriger Voraussetzungen entsprechende Erfolge und Verbesserungen erwirken konnten.

Tickets

500 Tickets und somit 250 weniger als in den vergangenen beiden Derbys standen den Fans des 1. FC Lok dieses Mal zur Verfügung. Sicherlich ist eine solche Reduzierung des Kartenkontingents alles andere als zufriedenstellend, dennoch entspricht dies immer noch einer Gesamtquote von 10%. Diese besitzt im Sachsenpokal zwar keinerlei verbindliche Gültigkeit, kann aber dennoch als legitimer Maßstab betrachtet werden. Man erhält somit die im Ligabetrieb übliche Mindestzahl an Tickets – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.

Eine faire Vergabe dieser 500 Tickets an einen deutlich größeren Pool an Interessenten ist nicht nur schwierig, dies ist faktisch unmöglich. Jeder will dabei sein, wenn der FCL ins Halbfinale einzieht. Es gibt keinen Meisterweg und diesen wird es auch niemals geben. Dennoch ist eine ungerechte Kartenvergabe besser als keine Kartenvergabe. Uns geht es nicht darum, wer wie viele Karten erhält oder wie viele Karten wir erhalten. Es geht uns darum zu betonen, dass ein leerer Gästeblock nicht die beste, sondern eher die denkbar schlechteste aller Optionen ist die wir nun aber hinnehmen müssen.

Shuttlebusse

In den Vorjahren interessierte sich nahezu niemand auch nur im Entferntesten für diese Unart und mehrere hundert Lokfans ließen sich gedankenlos und bequem per Bus von Probstheida nach Leutzsch chauffieren.
Die aktive Szene war eine der wenigen, die diese Form der Zwangsanreise kritisierte, ablehnte und letztlich auch boykottierte. In diesem Jahr wurde diese Form der Anreise endlich abgeschafft bzw. auf eine freiwillige Basis gestellt, was definitiv als Erfolg zu verbuchen ist.

Marsch
Ein gemeinsamer Marsch aller Fans wurde in den Vorjahren behördlich untersagt, am 15.12. wäre dieser – trotz eher strikter Anforderungen seitens Polizei und Behörden – grundsätzlich möglich gewesen, was ebenfalls eine entsprechende Verbesserung darstellt. Ob dieser nun am Zentralstadion, am Lindenauer Markt oder in Probstheida startet, ist dabei fast eher zweitrangig und kein Grund, alles hinzuwerfen.

Zweifelsohne sind die Begleitumstände um dieses Spiel herum weiterhin zermürbend und oftmals frustrierend. Doch wer sich bei den vergangenen Spielen mit deutlich repressiveren Verhältnissen abgefunden und diese auch akzeptiert hat, kann und darf heute nicht plötzlich von „unzumutbaren Zuständen“ reden, das ist nicht nur inhaltlich falsch, sondern auch unsinnig. Einen Schritt weiter gedacht: Es ist kaum davon auszugehen, dass sich die Bedingungen für derartige Spiele in Zukunft verbessern werden. Ganz im Gegenteil, im Zuge des sich androhenden neuen Polizeigesetzes dürften die Derbys der Zukunft wohl eher mit noch weitreichenderen Repressionen und Einschränkungen verbunden sein: Kontrollbereiche, Alkoholverbotszonen, Kontaktverbote, Schwerbewaffnung, etc. – die polizeilichen Maßnahmen der Zukunft liegen sozusagen bereits in der Schublade. Der tagesaktuellen Logik zufolge dürfte es somit unter den jetzigen Voraussetzungen vermutlich niemals wieder Spiele im AKS mit Gästefans geben. Ist es das, was ihr wollt?! Sicherlich nicht. Wir auch nicht. Für einen so stolzen Verein wie den 1. FC Lokomotive Leipzig darf es daher keine Lösung sein, sich aus Angst vor der Welt und ihren Problemen im eigenen Stadion einzuquartieren und dabei die Augen vor der Realität zu verschließen. Schließlich sind all diese Spiele ohne die Fans, ihre Kultur, Fahnen, Rituale und Folklore nicht einmal mehr die Hälfte wert.

Wo warst du, als Watahiki die Leutzscher aus dem Pokal ballerte?

Wo warst du? Beim Public Viewing? Oder hattest du doch das Glück, live im Stadion dabei zu sein? Es gibt wahrlich nichts Größeres als ein Tor in der Verlängerung gegen den Ortsrivalen. Es sind die schönsten und unvergesslichsten Momente, von denen wir noch Jahre später elektrisiert berichten. Momente der völligen Extase, in denen man und zugleich die Enttäuschung und die salzigen Tränen des Gegenübers regelrecht schmecken kann. Die Vorstellung, dass dies erneut eintreffen könnte und die Mannschaft jubelnd vor einem leeren Gästeblock steht, währenddessen Blau-Gelb zeitgleich vor einem überdimensionierten Fernseher feiert und sich noch auf die Schultern klopft, ist nicht nur eine sehr bittere, sondern auch eine sehr falsche. Gerade die so oft beschworene Phrase „Die Mannschaft braucht die Fans.“ wird im bis dato wichtigsten Spiel der Saison völlig ad absurdum geführt. Es gibt Momente, in denen kann ein einfaches „L-O-K!“ vielleicht sogar ein ganzes Spiel entscheiden.

Nun aber haben diejenigen gewonnen, die uns das Besondere, das Außergewöhnliche, das Magische, das Derby nehmen und kaputtmachen wollen. Die Hardliner, die Polizei und Behörden, die Scharfmacher und Ängsteschürer, die selber keinerlei Kultur besitzen und sich nun bestätigt fühlen, einen entspannten Nachmittag verleben werden und aus ihrer Sicht alles richtig gemacht haben. Und wenn das Spiel am Samstag vorbei ist – ohne Spruchbänder, ohne Gesänge, ohne Rückhalt der mitgereisten Fans, zugleich auch ohne eventuelle Zwischenfälle, ohne Störungen und daraus resultierende Strafen, dann ist dies dennoch keine Erfolgsmeldung. Es ist kein konsequentes Handeln, es ist lediglich die Kapitulation vor der Frage, wie man mit schwierigen Entscheidungen und den Problemen des Lebens umgeht. Es ist zusammengefasst der leichteste, aber auf keinen Fall der richtige Weg. Denn Derby-Geschichten werden im Stadion geschrieben, nicht vor der Leinwand.

Fanszene Lok